Thomas Götemann im Gespräch mit Jörn Ehrlich
Wenn der Körper spricht
Kommunikation bedeutet nicht nur miteinander reden. Auch der Körper sendet Signale aus. Mimik, Gestik und Körperhaltung sagen dabei manchmal mehr als tausend Worte. Allerdings muss man diese nonverbale Kommunikation entschlüsseln können, sonst bleibt es eine Fremdsprache. Wie wir uns selbst und andere über die zielgerichtete Aufmerksamkeit auf die Körpersprache besser verstehen können, darüber sprach der Reformhauskurier mit dem Lehrtrainer und Management-Coach Jörn Ehrlich aus Hamburg.
Reformhauskurier:
Herr Ehrlich, was ist für Sie persönlich das Spannende am Thema Körpersprache?
Jörn Ehrlich:
Das Interessante ist aus meiner Sicht, dass die Berücksichtigung der Körpersprache das Spektrum der Kommunikation enorm erweitert. Die Sprache ist evolutionär wesentlich jünger als beispielsweise die Lautbildung, oder eben die Körpersprache. Unsere Gesellschaft ist eine Verstandesgesellschaft. Wir haben gelernt, auf den Inhalt der Worte zu achten. Man „schenkt dem anderen sein Ohr“ und versucht zu verstehen, was der andere wohl mit seinen Äußerungen gemeint hat. Dabei haben viele Menschen verlernt, Kommunikation als ganzheitlichen Prozess zu verstehen, bei dem die Worte eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Denn zugleich wird jeder unbewusst von der Vielzahl körpersprachlicher Signale in seinem Verhalten beeinflusst. So wird Werbung ja erst dadurch interessant, dass Kaufsignale gesetzt werden. Verkäufer werden darin trainiert, durch positive Körpersprache den Kunden für ein Gespräch zu öffnen. Kinder wissen genau, wie Sie sich verhalten müssen, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Und auch der Spruch „Es geht nichts über einen ersten Eindruck“, weist darauf hin, dass wir uns unbewusst von der Körpersprache leiten lassen. Übrigens: In den ersten 150 Millisekunden entscheidet ein Mensch, ob er sein Gegenüber sympathisch findet oder nicht.
Demnach bedeutet professionelle Kommunikation die Fähigkeit, sowohl die Wahrnehmung für die Körpersprache des Gegenübers zu schärfen und entsprechend zu berücksichtigen, als auch das eigene Verhalten gewinnbringend für beide Seiten einzusetzen.
Im Regelfall schenken die Menschen dem WIE in der Kommunikation zu wenig Bedeutung. Wir haben verlernt, unserer Intuition zu vertrauen und unsere Wahrnehmung für derlei Phänomene zu schärfen. Wir verlassen uns eher auf das, WAS gesagt oder geschrieben worden ist. Damit berauben wir uns einer riesigen Chance, unsere Kommunikation entsprechend sensibel auf das Gegenüber abzustimmen. Ich nehme generell – gerade im Business-Kontext – wahr, dass unsere Gesellschaft über relativ wenig Empathie, also Einfühlungsvermögen, verfügt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Studie aus dem Jahre 2009 die in der Zeitschrift „Science“ veröffentlicht wurde. Hier wird beschrieben, dass bei Menschen, die sich mächtiger fühlen als ihr Gesprächspartner, die Fähigkeit zu empathischen Verhalten abnimmt.
Nietzsche hat gesagt: „Man lügt wohl mit dem Munde; aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch noch die Wahrheit.“ Was hat er damit gemeint?
Der Mensch besitzt etwa 656 Muskeln. Diese werden zum größten Teil autonom, oder psychologisch ausgedrückt „unbewusst“, gesteuert. Allein unsere 43 Gesichtsmuskeln können mehr als 10.000 Formen des Ausdrucks produzieren. Der Mensch ist nicht wirklich in der Lage, alle diese Muskeln gleichzeitig zu kontrollieren. Insofern kann ein geübter Kommunikator an dem Verhalten die eigentliche, dahinter liegende, Bedeutung einer Äußerung erkennen.
Besonders interessant sind die sogenannten „ideomotorischen Bewegungen“. Dies sind Bewegungen, die ohne Mitwirkung des Willens ausgeführt werden. Die Grundannahme ist, dass allein das Denken oder die Vorstellung einer Handlung zu einer körperlichen Reaktion führen. Ein klassisches Beispiel ist das Einsetzen des Speichelflusses, wenn man nur an eine Zitrone denkt.
Ausgehend von dieser Annahme werden viele unbewusste Gesten wie zum Beispiel Kopfkratzen, Naserümpfen, den Finger an die Lippen legen oder ein Stirnrunzeln, zu bedeutsamen Hinweisen über die „innere Absichten“ des Senders.
Die Kunst besteht nun darin, diese nonverbalen Signale zu erfassen und im eigenen Kommunikationsverhalten zu berücksichtigen. So kann beispielsweise ein Zuhörer durch das Anlegen des Zeigefingers am Mund signalisieren, dass er sich wünscht, dass der Vielredner auf der anderen Seite endlich den Mund zumacht, damit man selbst auch mal etwas sagen kann.
Wer beschäftigt sich professionell mit dem Thema und mit welcher Zielsetzung?
Da gibt es die unterschiedlichsten Berufsgruppen, die mit sehr unterschiedlichen Ansätzen an dieses Thema heran gehen. Hier ein paar Beispiele:
Zollbeamte, Verhörspezialisten und Polizisten werden darin trainiert, auffälliges Verhalten zu erkennen. Sie sind darin geschult, über die Körpersprache und den Tonfall Indizien von Inkongruenz zu bemerken. Sie sind darin geschult, aus einer Vielzahl von Einzeleindrücken Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu treffen. Beispielsweise sind ungeübte Lügner nicht so gut darin, einen Blickkontakt länger auszuhalten. Im Zusammenspiel mit vorauseilender Rechtfertigung, einer abnehmenden Tonlage, einer schneller wechselnden Körpersprache (tun wir auch, wenn wir uns körperlich unwohl fühlen) und dem Aufrichten von symbolischen Barrikaden, können all diese Indizien im Zusammenspiel wahrgenommen eine Tendenz aufweisen, eine Spur, die es gilt weiter zu verfolgen.
An diesem Beispiel sehen wir deutlich, dass ein Indiz oft nicht ausreicht. Verschränkte Arme bedeuten nicht generell Verschlossenheit, sondern können auch auf den Wunsch des Einzelnen hinweisen, dass er mehr bei sich sein möchte, oder dass ihm schlichtweg einfach nur kalt ist.
Es kommt also auf den Moment und auf das Zusammenspiel einer körpersprachlichen Situation an. Wenn der Verkäufer seinen Kunden fragt, ob er sich für sein Produkt entschieden hat und dieser im selben Moment seine Beine überschlägt, seine Arme überkreuzt und sich leicht von ihm abwendet, dann könnten dieses ernstzunehmende Hinweise für den Verkäufer sein, noch mal gemeinsam mit seinem Kunden über mögliche Einwände nachzudenken.
In einem Coaching hatte ich einmal einen „klassischen“ harten Manager, der sich auch körpersprachlich stark zu kontrollieren wusste. Immer wenn es „nebenbei“ um das Thema Mitmenschen und Beziehung ging, wirkte er in seinem Habitus irgendwie etwas zurückhaltender und kraftloser als sonst. Daraufhin habe ich ihn auf dieses Phänomen angesprochen und er erzählte mir, dass er sich innerlich sehr einsam fühlen würde, sich dies selbst aber nur schwer eingestehen konnte.
Warum ist das Thema nonverbale Kommunikation heute so wichtig, welche Funktionen erfüllt sie?
Nonverbale Kommunikation hilft einerseits, das eigene Kommunikationsanliegen zielgerichteter, emotionaler und kraftvoller zu adressieren. Viele Führungskräfte, Verkäufer, Erzieher und Eltern unterschätzen dies. Sie versuchen pädagogisch wertvolle Sätze zu finden und intellektuell zu überzeugen. Dabei wird die emotionale Kraft, mit der eine Botschaft aufgeladen werde sollte, allzu oft außer acht gelassen. Der Satz „Ich liebe dich“ ist eben mehr als die grammatikalisch richtige Aneinanderreihung von drei Worten. Sie lebt von dem Timbre in der Stimme und dem Ausdruck, mit dem diesen Worten Nachdruck verliehen wird.
Wie und wo kann ich Körpersprache im Alltag bewusst einsetzen, wo kann ich sie „erlernen“ und welche Rolle spielt sie im Coaching?
Man könnte sagen, die Körpersprache macht das gesprochene Wort zu dem, was es ist. Nämliche eine nachhaltige Botschaft, die mein Gegenüber veranlasst, sein Verhalten zu ändern bzw. überhaupt erst eine Reaktion zu zeigen.
Im professionellen Kontext hilft die Körpersprache, eine Brücke zum anderen zu bauen. Vertrauen, Wertschätzung und Verständnis sind eben mehr als der analytische, logische Austausch von Informationen. Dies ist in dem Wort Information schon angelegt. Frei übersetzt könnte man sagen, das Ziel einer gelungenen Kommunikation besteht darin, sein Verhalten IN ein passendes FORMAT zu „gießen“, damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass der Andere auch etwas damit anfangen kann.
Herr Ehrlich, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.